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Auf Mission

Alumni-Interview mit Stefanie Hilt von Sea-Watch

Stefanie Hilt (29) kämpft gegen das Ertrinken Geflüchteter auf dem Mittelmeer. Nach ihrer Ausbildung als Erzieherin hat die Wahlberlinerin Internationale Not- und Katastrophenhilfe studiert und ist heute im Vorstand der zivilen Seenotrettung Sea-Watch e.V. Aktuell ist die SEA-WATCH 3, das Schiff der Organisation, in Italien beschlagnahmt und es ist ungewiss, wann die Crew zur nächsten Mission aufbrechen kann. Für uns die Chance, die Alumna der Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin zu treffen.  

 

Was genau machst Du bei Sea-Watch?

Stefanie Hilt: Ich habe schon in ganz unterschiedlichen Positionen gearbeitet. Während des Studiums habe ich als Praktikantin im Büro angefangen – vor drei Jahren war Sea-Watch noch viel kleiner – und mich praktisch durch die verschiedenen Bereiche einmal durchgearbeitet. Von Medien über Fundraising und Büroadministration. Ich habe den Bereich Events mit aufgebaut und bin jetzt im Vorstand tätig. Da mache ich vor allem Sachen wie Personalmanagement und Aktivistenkoordination. 

Wie groß ist Sea-Watch heute?

Stefanie Hilt: Insgesamt, wenn man alle mitzählt, sind wir über 500 Leute. Oberstes Entscheidungsgremium ist der Verein, der hauptsächlich aus Ehrenamtlichen besteht. Hier werden strategische und operative Entscheidungen gefällt.

Ehrenamt spielt bei Euch also eine wichtige Rolle?

Stefanie Hilt: Darüber läuft sehr viel – gerade auch auf dem Schiff. Meinen ersten Einsatz hatte ich auch ehrenamtlich als Rettungssanitäterin. Da hat mir die Akkon-Hochschule übrigens echt geholfen, weil aufbauend auf das Modul Humanmedizin damals die Möglichkeit bestand, den Rettungssanitäter zu machen. Nach der Ausbildung konnte ich dann als Rettungssanitäterin für Sea-Watch aufs Schiff gehen.

Für die Missionen auf dem Schiff muss man also in speziellen Funktionen ausgebildet sein?

Stefanie Hilt: Ja genau. Es gibt 22 feste Positionen an Bord, für die die Leute dann auch die entsprechenden Kompetenzen mitbringen müssen. Wir haben neben Positionen mit nautischer Erfahrung zum Beispiel Maschinisten oder Schnellbootfahrer, aber auch „Cultural Mediators“, die arabisch sprechen, Mediziner oder externe Journalisten an Bord, die über die Mission berichten.

Was hat Dich motiviert, bei Sea-Watch anzuheuern?

Stefanie Hilt: Für mich war klar, dass ich nach dem Studium in eine NGO gehe und irgendwas zum Thema Migration mache. Es stellte sich nur die Frage, ob eine große oder eine kleinere NGO. Ich habe mich für eine kleine entschieden, um in möglichst vielen verschiedenen Bereichen mitarbeiten zu können. Das lief bei Sea-Watch sehr gut – da konnte ich viel Eigeninitiative einbringen und ich konnte viel lernen.

Wofür kämpfst Du?

Stefanie Hilt: Mir geht es um Gleichstellung und darum, Gerechtigkeit zu erzeugen. Ich denke, wir leben in Deutschland mit einem super Lebensstandard und können hier entspannt und sicher leben. Das sollte man jedem Menschen zubilligen, so dass jeder die Möglichkeit hat, sich ein sicheres und gutes Leben aufzubauen. Dafür brennt mein Herz.

Hat sich das durch Dein Engagement bei Sea-Watch verstärkt?

Stefanie Hilt: Ich hatte schon immer einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Wenn ich sehe, dass es jemandem schlecht geht, kann ich mein Eigentum gut mit jemandem teilen. Und so sehe ich das auch global. Wir haben hier in Deutschland extrem viel und haben die Kapazitäten und den Bedarf, Leute aufzunehmen. Dementsprechend sollten wir die Menschen angemessen und würdig aufnehmen.

Dafür bedarf es aber auch in Deutschland noch einen Mindshift, oder?

Stefanie Hilt: Ja auf jeden Fall. Allein wenn man sich unser Asylsystem anschaut ist das ja eher darauf ausgelegt, Menschen zurückzuweisen. Ich denke das ist die große Problematik. Die Menschen, die ich auf meinen Missionen kennengelernt habe wollen einfach gerne hier arbeiten und sich ein Leben aufbauen. Das wird aber schon dadurch verhindert, dass sie erstmal gar nicht arbeiten dürfen. Arbeit zu haben finde ich extrem wichtig für die Integration. Aber bis Flüchtlinge in Deutschland arbeiten dürfen, ist meist schon so viel passiert, dass sie sich in die Illegalität flüchten oder kriminell werden. Das könnte man alles verhindern, indem man ihnen bessere Startchancen bereitet.

Wie verläuft denn so ein Einsatz auf dem Boot?

Stefanie Hilt: Ich war bei zwei Missionen auf See und zweimal leider nur im Hafen, weil wir nicht ablegen durften. Normalerweise ist man bei einer Mission drei Wochen auf See und patrouilliert in der sogenannten Such- und Rettungszone. Wenn man Boote findet, die in Seenot sind, werden die Informationen an die zuständigen Rettungskoordinationszentren übermittelt. In unserem Falle läuft das meist über Italien. Gemeinsam wird dann geklärt, ob wir die Menschen in Seenot an Land bringen, oder ob die Küstenwache ein Schiff schickt, um sie abzuholen. Inzwischen ist es aber so, dass Italien eher keine Rettungsschiffe mehr schickt und wir dafür kämpfen müssen, überhaupt in einen Hafen einlaufen zu können.

An dem Fall von Carola Rackete ist ja sehr deutlich geworden, wie schwierig die Situation gerade ist.

Stefanie Hilt: Es ist seit zwei Jahren viel schwieriger geworden. Das Dilemma ist immer: Per Seerecht hat man die Verpflichtung, Menschen in Seenot in einen sicheren Hafen zu bringen, aber die Staaten sind nicht verpflichtet einen sicheren Hafen zu stellen. In Teilen kann ich die italienische Haltung sogar verstehen, weil die jahrelang allein gelassen wurden. Italien hat sehr viele Leute aufgenommen und die Flüchtlinge wurden nicht in Europa verteilt. Das ist weder gut für das Land noch für die Leute. Wenn es einen faireren Verteilungsmechanismus gäbe, wäre die Kommunikation mit Italien sicher entspannter. 

Das klingt nach einer Botschaft an die Politik…

Stefanie Hilt: Persönlich fände ich einen fairen Verteilungsmechanismus wichtig, der sowohl die Interessen von den Leuten, als auch die Interessen der Länder berücksichtigt. Es kann ja auch nicht sein, dass Leute in Länder geschickt werden, wo überhaupt keine Zukunftsperspektive für sie besteht.

Gab es ein besonders bewegendes Erlebnis bei einer Mission?

Stefanie Hilt: Bei meiner ersten Mission gab es einen richtig großen Clash. Wir sind von der maritimen Rettungskoordinierungsstelle in Rom gerufen worden, dass ein Boot in Seenot ist, haben mit unserem Schiff Kurs gesetzt und die Schnellboote fertig gemacht. Als wir mit den Schnellbooten auf dem Weg waren, sank das Flüchtlingsboot aber bereits, weil ein Schlauch geplatzt war. Es waren viele Menschen im Wasser und überall Schreie um uns herum. Das war wohl einer der einprägsamsten Momente, denn es war klar, dass wir nicht alle diese Menschen retten können. Menschen ertrinken unglaublich schnell... Da geht es dann wirklich darum, zu schauen, wen man noch schnell aus dem Wasser ziehen kann, um auf diese Weise möglichst viele zu retten.

Wie schafft Ihr es mit solchen Situationen umzugehen?

Stefanie Hilt: Wir haben vorher Trainings, also wie wir Menschen am besten aus dem Wasser ins Schnellboot ziehen und wir bekommen vor jeder Mission auch ein psychologisches Briefing und ein anschließendes Debriefing. Außerdem gibt es Unterstützung in einem Supervisionsnetzwerk. Das ist schon sehr hilfreich, weil wir in den psychologischen Briefings über solche Grenzerfahrungen sprechen. Man neigt schnell dazu, seine eigenen psychischen und physischen Grenzen zu überschätzen. Ich dachte, vollgepumpt mit Adrenalin, würde ich es locker schaffen, eine Person ins Boot zu ziehen, habe bei meiner ersten Mission aber gemerkt, dass ich das alleine kaum schaffe.

Du hast Internationale Not- und Katastrophenhilfe bei uns an der Hochschule für Humanwissenschaften studiert. Wie hat Dich das Studium auf Deinen Beruf heute vorbereitet?

Stefanie Hilt: Das Studium bietet ja alle Grundlagen für die Arbeit in NGOs. Aber wie gut man letztlich auf den Job vorbereitet ist, hängt davon ab, welche Bereiche man vertieft und was man neben dem Studium noch macht. Was ich an der Akkon-Hochschule auf jeden Fall spannend fand, ist, dass wir sehr viel über Hausarbeiten machen konnten. Da konnten wir überlegen, in welchen Themen wir forschen und uns spezialisieren wollen.

Hattest Du bei Sea-Watch mal so einen Aha-Moment mit Blick auf Studieninhalte?

Stefanie Hilt Immer mal wieder! Beim Thema Organisationsentwicklung im Modul BWL dachte ich früher beispielsweise: trockener Stoff, brauche ich bestimmt nie wieder. Erst mit dem Einblick in Sea-Watch und andere NGOs habe ich gemerkt, dass Organisationsentwicklung ein wichtiger und sogar fortwährender Prozess ist. Also letztlich habe ich bei den Fächern, die sich für mich erstmal gar nicht so spannend anhörten, sogar am meisten mitgenommen.

Das heißt Du würdest Dich wieder dafür entscheiden?

Stefanie Hilt Auf jeden Fall!

Gibt es denn nach Deiner Erfahrung jetzt schon etwas, was Du Studierenden jetzt mit auf den Weg geben würdest?

Sich praktisch engagieren! Ob jetzt im Praktikum oder durch ein Ehrenamt, ich denke das sind die Sprungbretter, über die man in den Job reinkommt.

Was sind aus Deiner Sicht Futureskills für die Arbeit in NGOs?

Stefanie Hilt: Flexibiltät, Engagement und sehr viel Eigeninitiative! Also, sich ständig zu fragen: Wo sehe ich einen Bedarf oder ein Defizit und wie kann ich mit einem Projekt oder einer Aktion etwas bewirken.

Wie können sich Studierende denn bei Sea-Watch engagieren?

Stefanie Hilt: Wir suchen eigentlich für fast alle Bereiche Aktivisten. Oft erreichen uns allerdings Anfragen, dass jemand uns für zwei Wochen unterstützen möchte, was leider nicht geht, da die Einarbeitung dafür einfach zu intensiv ist. Aber wenn man längerfristig Zeit hat, klappt das super.

Gibt es Positionen, die schwierig zu besetzen sind?

Stefanie Hilt: Ja, die Schlüsselpositionen – Head of Mission – zum Beispiel. Dafür muss man die Organisation in- und auswendig kennen und die politischen Strukturen sehr gut kennen. Der Head of Mission ist in Verbindung mit den Behörden, mit den Landteams in Deutschland aber auch in Italien, Frankreich und den Niederlanden und muss gleichzeitig die gesamte Crew leiten. Von daher ist das eine Position, die recht schwierig zu besetzen ist. Und natürlich die Kapitäne, die für die Sicherheit des Schiffes, der Crew und alles Nautische zuständig sind.

Was müsste geschehen, damit die Mission von Sea-Watch erfüllt ist?

Stefanie Hilt: Eigentlich hat bei der Gründung des Vereins 2015 niemand geahnt, dass unsere Mission so lange dauert. Gestartet sind wir ja mit einem Monitoring per Schiff und Flugzeug, um zu zeigen, dass es wieder eine staatliche Seenotrettung wie zum Beispiel durch Mare Nostrum in Italien braucht. Die Boote der staatlichen Seenotrettung haben sich allerdings immer mehr zurückgezogen. Mittlerweile geschieht Seenotrettung fast nur noch zivil durch NGOs oder wenn es Schiffe der staatlichen Küstenwache mal sehr weit raus schaffen.

Was wäre Dein Appell an die EU…?
Stefanie Hilt: Das Asylsystem sollte umgestellt werden. Und meine Vision wäre, dass sich keiner, der auf der Flucht ist, in Lebensgefahr begeben muss. Dafür müssen sichere Fluchtwege etabliert werden.

Deine drei Wünsche in Hashtags?

Stefanie Hilt: #RechtaufFlucht, #SafePassage und #Selbstreflektion – also die Frage: Wie kann ich selbst zum Beispiel mit meinem Lebensstil und mit meinem Konsum dafür sorgen, dass sich weniger Menschen überhaupt auf die Flucht begeben müssen.

Das ist ein schöner Schlusssatz – vielen Dank für das Gespräch!

 

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Die Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin